
Nachruf auf Sr. Benedikta
Wenn ich an Schwester Benedikta denke….
Von Iris Pelny/ Erfurt
. . . dann sehe ich mich innerlich noch am Schreibtisch sitzen: beispielsweise am Silvestertag 2022, quasi an der Schwelle zu einem neuen Jahr. In den Kalender trage ich als Besonderheit für 2023 diesmal gleich zwei Mal einen 100. Geburtstag ein: im März für eine langjährige Bekannte. Und Anfang August für Benedikta, auf die aber inzwischen eigentlich dasselbe Charakteristikum zutrifft – wenngleich anfangs nur auf der Arbeitsebene.
Sie engagierte sich in der Frauen- und Notarbeit, ich auch, allerdings als Erfurter Journalistin mit DDR-Hintergrund. Also ohne Orden-Erfahrung und gläubiges Grundwissen. Der Orden beackerte nunmehr im lokalen Sozialbereich Neuland und die gestrenge Schwester Benedikta war ab 1991 dabei eine Zentralperson.
Erfurt wurde ihr zur neuen Heimat, die sie auch im hohen Alter nicht verlassen wollte. „Wer denkt denn, dass er mal 90 wird“, sagte sie – vor 10 Jahren! Da war sie noch gut in der Stadt unterwegs: zum morgendlichen Gottesdienst auf den Domberg. Auf den Stadtwegen traf sie meist Bekannte. Sie gehörte zum kirchlichen Netzwerk, war bekannt im Rathaus, im Frauenzentrum, bei der Gleichstellungsbeauftragten, beim Jugendamt, bei der Polizei, in den Ministerien und bei den Sozialbehörden. . .
Viele Frauen, denen sie auch mit ihren Kindern einen Schutzraum bot, hatten einen Migrationshintergrund. Andere gehörten zum Rotlichtmilieu. Auch das war in Erfurt Neuland. Doch Schwester Benedikta urteilte nicht, sondern lebte das vierte Gelübde ihres Ordens: den Dienst am Menschen in Not.
2004 erhielt Benedikta Hoffmann für ihre Aufbauarbeit das Bundesverdienstkreuz.
Wenn ich an Benedikta denke, dann sitze ich an einem Zeitfenster und schaue ins 20. Jahrhundert. Das Jahrhundert der Frauen!
Ihr Elternhaus, geprägt vom I. Weltkrieg, war politisch offen und von Anbeginn gegen Hitler eingestellt. Das habe ihren Blick für die Not der anderen geschärft, sagte sie. Ihre Kinderjahre lagen in der Inflationszeit, ihre Jugendjahre am Beginn der Nazidiktatur und der grausame II. Weltkrieg erschütterte die Welt – und ihre Familie.
Der Neubeginn war schwer. Ihre Heimatstadt Karlsruhe lag in Trümmern. Studieren und der Alltag als Bankerin war kein Thema. Die Wirtschaftswunderjahre der BRD zeigten der engagierten Sozialarbeiterin auch so manche Schattenseiten auf.
Innerlich gereift, als gestandene Frau, entschied sie sich erst mit 37 Jahren für das Leben in einem Orden – mit Frauen, die wie sie fest im Leben standen, gut ausgebildet waren, Verantwortung trugen. „Es ist ein weltweit agierender Orden“.
Doch Schwester Benedikta ging nichts ins Ausland, sondern 1991 in den nun offenen anderen Teil Deutschlands: nach Erfurt in Thüringen. Schließlich war sie gerade erst 70 Jahre jung, streng, versiert in dem nun auch dort geltenden Sozialrecht. Als Zweier-Team bauten die Ordensfrauen „Vom guten Hirten“ seitens der Kirche eine Frauenschutzwohnung und die dafür nötigen vielfachen Kontakte auf. Die bedürftigen Frauen erlebten mitten im persönlichen Chaos zunächst mal Zuwendung, zudem Absicherung, Schutz, Begleitung, Betreuung. Aus so manchem Aufenthalt auf Zeit erwuchsen feste Kontakte.
Benedikta war die erste Leiterin dieser Niederlassung, die zwischenzeitlich auf sieben Schwestern anwuchs. Nach 10 Jahren gab sie, nunmehr 80-jährig, den Staffelstab an Schwester Martina ab. Doch sie fand einen neuen Wirkungsplatz in der Erfurter Gemeinschaft, übernahm die Verwaltung und (ungeliebte) Buchhaltung. Gelernt ist gelernt: Damit, so meinte sie, schloss sich ja auch ein Lebenskreis, der als Bankangestellte beruflich begonnen hatte. In einem anderen Jahrhundert, in einer ganz anderen Gesellschaftsordnung. Und in einer Zeit, als Frauen Pionierarbeit leisteten, nachdem die Männergenerationen an den Krieg verloren waren.
Schwester Benedikta`s persönliche Buchhaltung fällt positiv aus. Akkurat in Steno hielt sie diese fest, als der Kopf mit über 90 Jahren zu schwächeln begann. Bis zum Schluss, wo sie im Andreashof nochmal eine Geborgenheit in einer anderen Gemeinschaft fand, betreut und besucht von Schwester Irmgard, den Gemeindemitgliedern von Severi und Martini. Immer öfter lebte sie zuletzt in ihrer inneren Welt, mit glücklichen Kindertagen mit ihren Brüdern, die ihr schwimmen lernen wollten. Es sind liebenswerte Erzählungen ohne Bitternis und der Strenge, die ihrem Wesen so eigen war. Sie hatte ein erfülltes Leben — in Liebe für andere!! So denke ich an Schwester Benedikta zurück.